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© Barbara Henrike Schuhrk 2018
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NISCHEN

Eine Gesellschaftssatire?

(1994)
Ledersohlen, italienische Markenschuhe, geschnürt. Pumps, deren Absätze nach innen schief abgelaufen sind. Turnschuhe, offene Schnürsenkel, schlendernder Gang. Hastig tippeln sie um die leere Büchse auf dem Weg, schreiten elegant darüber hinweg oder treten dagegen. Menschen können an ihren Füssen erkannt werden, Sie sagen oft viel mehr als Köpfe. Gesichter tragen Masken und mit dem Masken fallen die Gesichter. Deshalb liebe ich Füsse, denkt er. Sandalen, rote Fussnägel, daneben stolpern zarte Kinderfüsschen, tastend noch, fast unsicher. Gummisohlen quietschen unter männlichen Fleischmassen, Joggingschuhe sprinten an langen Beinen vorbei. Eine Gruppe von eleganten, fleischigen Füssen mit ächzenden Sohlen. Ihr Weg wird nicht von Unrat erschwert. Der Boden ist sauber, denn die Menschen heben den Müll auf, täglich wird gefegt. Es ist schön, dass man sich so um die Ordnung sorgt, sagt er leise zu sich. Es dämmert. Die Füsse werden seltener. Erschaudern zwischen Nacht und Morgen, wenn Ängste frei werden und doch im Verborgenen unsichtbar sind. Er ist seiner Gedankenflut ausgeliefert, auf dem Weg in die Tiefe, schwarz und unendlich. Feuchte Küsse der Depression, die ihm so vertraut... Nachts fühlt er sich jämmerlich und doch beglückt, denn er ist zuhause. Die Nacht ist wie ein kleiner Tod, kommt zu jedem, ungebeten, Dämonen, gottlose Saat, die ich verachte. Sie greift nach ihm mit weichen Rabenkrallen und will ihn mitnehmen - und doch, jeden Morgen wieder das Wunder der Geburt. Die ersten hellen Sonnenstrahlen blitzen zwischen den Häuserzeilen auf. Der blaue Himmel schickt seine Boten zu ihm. Es ist immer wieder schön von dem wärmenden Licht geweckt zu werden, denkt er. Sanfte Windböen streicheln die noch müde Haut, kitzeln an den Häarchen und eilen weiter. Das Leben erwacht. Spatzen erdreisten sich näher und näher zu kommen, nehmen sich das, was sie zum Leben brauchen, fast in Greifweite. Zwischen den Blumenkübeln auf dem Weg picken sie fröhlich nach kleinem Getier, aufgeplustert, lustig zwitschernd scheinen sie ihn anzulächeln. Es sind gepflegte Blumen, farbenfroh, von kräftigem Wuchs. Männertreu, Geranien, Röschen in zarten Tönen, wöchentlich gedüngt. Sie wuchern in Töpfen, die regelmässig abgespritzt werden. Man kümmert sich hier gut um sie, freut er sich jeden Tag neu. Bewundert die Grosszügigkeit der Natur, ihm solch schönen Anblick zu schenken. Liebevolle Blicke, nahrungsreiche Erde, sie haben es gut, genauso wie die hübschen Spatzen. Wenn morgens, mit den lauen Winden und der wärmenden Sonne, die Füsse kommen, bleiben sie oftmals paarweise stehen. Meist sind es moderne Füsse, oder jene, die schon Tausende von Kilometern hinter sich haben. Keine Blicke nach rechts oder nach links. Nur für die niedlichen Tiere, die munter um Sympathien buhlen. Dann werden seine gefiederten Freunde gefüttert. Es ist schön, wie sich die Menschen so nett um sie kümmern. Die Bewohner dieser Stadt sind freundlich, überlegt er. Nette, aufgeschlossene Leute, denn Menschen, die so hilfsbereit sind, sich so um Tiere, Pflanzen udn Sauberkeit sorgen, müssen gute und warmherzige Menschen sein. Und fröhlich, denn oftmals erschallt über den Füssen lautes Lachen. Welch ein Glück, denkt er, dass ich in dieser schönen Stadt leben darf. Viele alte Häuser, wahre Bauwerke. Gotische Fassaden, die einmal im Jahr aufopferungsvoll gestrichen werden. Gestandene Bauten mit kunstvollen Erkern, gepflegten Gardinen hinter blitzenden Scheiben. Dazwischen idyllische Grünanlagen, weitläufige Parkflächen, Oasen der Ruhe. In den kräftigen Baumwipfeln spielen die Winde mit den Blättern, saubere Kiesewege, gesäumt von Buchs, führen vorbei an frisch gestrichenen Bänken und glasklaren Teichen. Auch sie werden gehegt und gepflegt, wie alles in dieser wunderbaren Stadt, die sich um jeden sorgt. Zierliche kleine Tierchen im Schutz der ruhigen Häusernische. Auch sie haben es gut. Kleine Wesen, die über den Hals in das zerrissene staubige Hemd klettern. Sie krabbeln über den starren, weissen Körper hinab zu der Laache geronnenen Blutes, wo sich die dicken Fliegen tummeln. Kriechen durch wirre Haare, mit Vogelkot besudelt, strähnig und ausgetrocknet, über das bläulich gefärbte Gesicht. Sie essen sich satt an den aufgeschürften Hautfetzen. Es ist gut, wenn man gesättigt ist. Das weiss er. Füsse, sie kommen geradewegs auf ihn zu. Derbe Schuhe, Profilsohle, paarweise. Sie werden geknickt. Männer beugen sich, hocken sich nieder. Sie blicken hinunter, interessieren sich für mich? Ich wusste, das Leben hat einen Sinn. Sie blicken ihn genau an. Sehen die gebrochenen müden Augen, die starr ins Leere blicken, die letzte Tränenflüssigkeit, auf den Wangen zu trockenem Schleim geworden. Es schaudert sie. Er riecht. Sie wenden sich ab. Die Füsse werden gestreckt und richten sich auf. Vorsichtig an der Hand vorbei, die kraftlos aus der Nische ragt, erschöpft vom Zittern der vergangenen Jahre, gestreckt und flehend, als wolle sie auch im Tode noch nach etwas greifen. Ein leere Hülle Mensch. Oder einfach eine faulige Leiche, denn sein vernarbtes Herz, das zeigt er ihnen nicht. Dafür ist er zu stolz. "Der ist tot," sagt der eine Mann. "Ein Penner," der andere. Die Füsse gehen langsam davon, fort von ihm und seinem ausgedörrten Körper. Ein paar Meter weiter verharren sie, vor den prächtigen Blumenkübeln, in denen flauschige Hummeln brummen. Hier warten auch die Spatzen. Aufgeregt hüpfen sie hin und her, pfeifen und freuen sich über die knusprigen Brotkrumen, die ihnen liebevoll auf den Boden geworfen werden und im sanftlauen Wind zu Spielbällen werden. Es ist schön, wie sich die Menschen um seine gefiederten Freunde sorgen. Wie immer wieder Füsse stehenbleiben, Turnschuhe mit offenen Schnürsenkeln, Pumps, deren Absätze nach innen schief abgelaufen sind, italienische Markenschuhe, geschnürt. Für Raimund, Falco und "Papa Rabe" (siehe Foto). Von Euch lernte ich viel. Von Euch bekam ich die schönste Rose meines Lebens. Ihr werdet mich auf ewig begleiten -  auch wenn Ihr nicht mehr alle seid ...
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